04 Apr
04Apr

Mein neues Buch ist da!


Klappentext:


Die Familie und Freunde der königlichen Geschwister Lucian und Lily von Watin haben sich in alle Welt zerstreut, um endlich ein Heilmittel für Raphaels mysteriöse Muschelkrankheit zu finden. Die Zeit drängt, wenn er Muscheln und Perlen ansetzt, wird er sterben. In der Zwischenzeit versucht Lily herauszufinden, was ihre seltsamen Träume über singende Nixen bedeuten. Stets singen sie vom Goldenen Meer.
Aus Neugier taucht Lily eines Tages auf den Meeresgrund und ertrinkt um ein Haar.
Glücklicherweise wird sie von einem wunderschönen Fremden gerettet. Sie freundet sich mit Kaito an und mit ihm fühlt sie sich wieder lebendig. Aber warum wirft er ihr stets scharfe Blicke zu und woher kommen diese zahlreichen, atemberaubenden Abendroben? Welche Geheimnisse hütet der gut aussehende Kaito? Werden die Freunde Raphael retten können?
Nichts ist so, wie es scheint. Ein Wiedersehen mit alten Bekannten und neuen Wesen.
Kommst du mit nach Watin?



Kapitel 1


Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

»Ryu! Ryu!«, hörte Rufus. Er drehte sich kurzzeitig um, ohne stehen zu bleiben. Ein fröhliches glockenklares Lachen löste sich aus seinem Hals, als er seinen Vater, einige Meter hinter sich erblickte.


»Bleib stehen!«, rief er. Seine Stimme klang ein wenig besorgt, doch Rufus störte sich nicht weiter daran und lief immerfort. Obwohl es hier im Wald steinig und nass war, eilte Rufus flink und geschickt davon. Möglicherweise lag es daran, dass er gerade einmal sieben Jahre alt war und fix, wie ein Vogel zwischen den extrem eng stehenden Bäumen schlüpfen konnte, ehe ihn sein Vater zu fangen vermochte.


Atemlos blieb Rufus, an einigen Felsbrocken stehen, die wie aus dem nichts mitten im Wald aufgetaucht waren. Rabenschwarze Nebelschwaden umgaben es. Ein Surren erfüllte die Luft. Er hielt inne und sein Lächeln verschwand. Kurz darauf spürte er die große, warme Hand seines Vaters auf der Schulter. »Vater, sieh nur dort«, flüsterte er, zeigte mit einer Hand in Richtung der Felsen und blickte in Harus sonst so freudestrahlenden Augen, die ihn nun besorgt anschauten.
»Wir sollten besser gehen.«
»Aber Vater, dann lerne ich niemals ein Portal zu öffnen«, protestierte Rufus und zupfte an seinem scharlachroten Kimono herum, der ihm um seine langen Beine flatterte.
Der Griff um Rufus' Schulter wurde fester. »Ryu! Wir müssen gehen, dieser Wald wurde vor Kurzem verflucht. Hier geschehen sehr schlimme Dinge. Furchtbare Dinge.«
Mit seinen großen, grauen Augen blickte Rufus Haru an. Liebevoll nannte ihn sein Vater Ryu, was so viel wie roter Drache bedeutete.


»Was für Dinge?«
»Mächtige Zauber aus ferner Welt. Böse und verdorrt. Wenn man nicht aufpasst, heftet sich diese Magie an dich und wird dich langsam zerstören. Sie wird dir vortäuschen, alles für dich zu sein. Langsam wird sie dich in den Wahnsinn treiben.«
Der kleine Junge furchte die Augenbrauen, seine Augen schienen noch größer als ohnehin schon.
»Und wie kann man sie bekämpfen?«
Der Blick seines Vaters wurde weich, aber nur für eine Sekunde. Mit einer traurigen Miene schaute Haru seinen Sohn an und ging in die Hocke. »Mit Liebe!«, flüsterte er.

Schweißgebadet erwachte Rufus und drehte sich zur Seite. Lia saß bereits aufrecht im Bett und blickte ihm sorgenvoll in die Augen.
»Hattest du einen Albtraum?«, wollte sie liebevoll wissen und strich ihm mit einer Hand einige verklebte, rote Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die andere Hand ergriff seine.
»Nein«, hauchte er. »Der Traum war sogar sehr schön.« Ein kurzweiliges Lächeln tanzte auf Rufus Lippen. Er sah sich um. Sie waren immer noch in Watin. Kerzen flackerten neben dem Bett und auf der Fensterbank, es war Nacht.
»Was war dann?« Lia schmiegte sich an ihn und fuhr mit einer Hand an seine nackte Brust.
»Dein Herz klopft wie wild«, stellte sie fest.
»Mach dir keine Sorgen. Ich träume öfter mal etwas, was ich früher erlebt habe.« Rufus sah tief in Lias karamellfarbene Augen, die im Kerzenlicht wie zwei Bernsteine funkelten und zog sie näher an sich.


»Ich glaube, dass mein Unterbewusstsein sich mehr Gedanken um Raphaels Genesung macht, als ich vermutet hatte.«
»Was hast du geträumt?«
»Vor dem Schlafen gehen habe ich überlegt, ob ich nicht ein Portal erschaffen sollte und Haru hierher hole. Er könnte uns bei der Suche nach einem Hilfsmittel für Raphaels Genesung helfen. Und dann träumte ich vom Aokigahara Wald.«
In Lias Augen sah er Entsetzen. Sorgenfalten tanzten auf ihrer Stirn. »Was?«, flüsterte sie.


»Vor vielen Jahren war Haru mit mir dort. Das war zu der Zeit, als ich meine Portalkünste übte. Wir waren schon einige Kilometer gelaufen, da spürten wir eine immense Magie. Sie war abgrundtief böse. Schwarze Nebelschwaden pulsierten über den Felsen im Wald. Etwas setzte sich dort fest. Mein Vater hatte damals nur gemeint, dass es sehr gefährlich sei und man sich diese dämonische Magie einfangen könnte. Langsam würde sie die Seele zerfressen, man würde verrückt werden bis man sich eines Tages ... bis man Seppuku begeht.«
»Selbstmord!«, rief Lia aus, lauter als gewollt.
»Es könnte sein, dass diese Magie an jener Stelle entstand oder sich festsetzte, als wir ebendort zum ersten Mal gemeinsam waren. Immerhin ist es über mehrere hundert Jahre her.«
»Was könnte der Grund gewesen sein? Warum hat sich die Kraft ausgerechnet dort festgesetzt?« Lias Gesichtszüge entspannten sich ein wenig.


»Möglich wäre eine Art unerwiderte Liebe. Ich bin mir jedoch nicht sicher«, gab Rufus leise von sich.
»Ich würde es gerne herausfinden.«
»Lia, dieser Wald ist gefährlich. Wir wissen nicht einmal, ob wir von dieser Magie verschont geblieben sind, als wir das letzte Mal dort waren. Vielleicht haben wir etwas angeschleppt, von dem wir noch nichts wissen. Dieser Traum war seltsam.« Sachte fuhr Rufus sich mit dem Daumen über die Stirn.
Lia nickte. »Wir sollten es morgen früh mit Lucian und Lily besprechen.«
»Das machen wir.« Der Zaubermeister lächelte und drückte Lia einen zarten Kuss auf die Lippen.


Kapitel 2

Engel


Raphael lag schon nahezu Monate im Koma. Jeden Tag betete Lily zu Gott, er möge ihn heilen. Diese Muschelkrankheit war grauenhaft.
Es war für Lily unheimlich, jeden Tag mitansehen zu müssen, wie ihr Liebster sich immer mehr in einen lebenden Toten verwandelte. Raphaels Wangen waren eingefallen. Seine Gesichtsknochen stachen hervor, wie hohe Felsen auf ruhiger See. Seine vormals blonden Haare lagen fad und dunkler als zuvor, wie ein vergessener, verstaubter Fächer ausgebreitet auf seinem Kissen.
 Während Lily vor dem Bett neben ihm kniete, fuhr ihre linke Hand vorsichtig an sein Gesicht. Die Schuppen hatten sich von seiner Hüfte aus, wo ihn der Shellycoat verletzt hatte, bis über den Rumpf und die Arme, nun auch bis zum Antlitz vorgearbeitet. Die Schuppen glitzerten und glänzten in der Vormittagssonne blau-grün.


Rufus hatte Lily erklärt, dass die Muschelkrankheit spätestens nach vier Monaten geheilt werden sollte, sonst könnte man nichts mehr für Raphael tun, als ihm der See zu überlassen. Er würde sie allesamt vergessen und von da an nur noch seinem Erschaffer dienen. Es schüttelte Lily bei dem Gedanken.
Ich lasse es nicht zu, dass du so wirst wie Dome! Die vier Monate sind bald um, verdammt. Gott sei Dank, hat er bisher keine Muscheln angesetzt. Muscheln. Oder Perlen!, dachte Lily.
Wenn Raphael Muscheln oder gar Perlen ansetzen würde, dann wäre es zu spät, hatte Rufus erklärt. Die einzige Sache woran Lily erkannte, dass er noch lebte, war sein schlagendes Herz.
Nachts, wenn sie bei ihm lag und ihren Kopf sachte auf seine Brust bettete, dann schlug es regelmäßig und sie glitt dabei in den Schlaf. Doch jetzt zuckten seine Augen unter den geschlossenen Lidern wild hin und her.
»Ich möchte dich nicht an die See verlieren«, flüsterte sie und ihr Blick schweifte über sein Gesicht. Tränen bildeten sich in ihren Augen. »Ich liebe dich nämlich, weißt du und ...«, sie brach ab. Sie liebte ihn so sehr, dass es weh tat und sie konnte nichts dagegen tun. Ihr Herz setzte für eine Sekunde aus und Lily dachte sie würde an ihrer Wut und an dem Hass ersticken, den sie fühlte, wenn ihre Gedanken zu dem verfluchten Shellycoat glitten.
Wäre er doch damals nicht mit Freya mitgegangen, als sie sich gemeinsam nach Bellissa auf die Suche nach dem Heilmittel für König Calomel begeben haben. Aber dann wäre der alte König niemals erwacht, wir hätten das Lichtschwert nicht wieder und Watin wäre längst Geschichte. Lily seufzte.
Königin zu sein ist gar nicht so leicht, schon gar nicht, wenn der eigene Ehemann in Lebensgefahr schwebt und ich nichts tun kann. 


Das Lichtschwert war mittlerweile auf seinem Platz. In der Truhe des neuen Königs Lucian – Lilys Bruder. Beide, Luc und Lily herrschten über Watin.
Dieses besondere Schwert sorgte dafür, dass das Gleichgewicht der Elemente bestehen konnte und somit ein geregelter Ablauf der Jahreszeiten garantiert war. Damit das Land blühte und gedieh. Watin immerzu magisch blieb.
Als Lily einen kühlen Windhauch an ihren glühenden Wangen spürte, blickte sie von Raphael auf. Vorsichtig zog sie ihre Hand wieder von seinem Gesicht und erhob sich. Mit einer zügigen Handbewegung wischte sie sich die Spuren ihrer Verzweiflung und Trauer von den Wangen.


»Ist Uriel wieder aufgetaucht?«, wollte Lucian wissen und kam auf Lily zu. Sie hatte ihn gar nicht klopfen, weder reinkommen hören. Lily schüttelte sachte den Kopf und merkte gleichzeitig, wie ihr die Verzweiflung und der Hass erneut bis in die Kehle stieg. Kurz darauf liefen ihr neue Tränen über die Wangen.
Ihr großer Bruder nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. »Wir müssen jetzt handeln, Lily! Sonst ...«, er konnte den Satz nicht zu Ende führen, da Lily sich aus seiner warmen Umarmung löste und ihn anstarrte. »Sprich es nicht aus!«, flüsterte sie.
Mehr gab ihre Stimme nicht her. Tagelang, wochenlang, monatelang hatte sie geweint. Jede Nacht und an diesem Vormittag. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle.
Luc griff nach ihrer Hand und schaute sie fest an. »Ich muss! Er wird sonst sterben.« Mit der freien Hand zeigte Lucian auf seinen Schwager. Lily schluckte den Kloß gewaltsam runter und holte tief Luft.
»Und wir werden es schaffen.« Ihre Stimme klang jetzt lauter.
»Rufus sagte damals zu mir, als König Calomel genauso leblos vor uns lag: Jemand kann nur wieder zum Leben erweckt werden, wenn er dazu berufen ist, ewig zu leben ...«
»Was willst du damit sagen? Das ...« Unterbrach Lily ihren Bruder.
»Ich war noch nicht fertig! Weiter sagte Rufus: Die richtige Zeit, der richtige Ort, das richtige Leben«, endete Lucian schließlich.
Die Lichtelfe löste sich von dem Dunkelelfen und setzte sich auf die Fensterbank. Diese Worte wiederholte sie abermals in ihrem Kopf. Sie konnte jedoch nicht viel mit ihnen anfangen.
Sie blickte zum Goldenen Meer. Die Wellen wogten friedlich. »Ich habe längst alle Lophora Willamsis, die ich in Watin finden konnte, verbraucht. Ich fürchte, Raphael stirbt jetzt schon an seinen Schmerzen. Stell dir vor, wie es sein muss ...«
»Ich weiß«, flüsterte Luc.
Eine warme Hand berührte Lily an ihrer Schulter. Sie blickte hoch in haselnussfarbene Augen. Liebevoll und gleichzeitig besorgt, musterte Luc sie.
Natürlich wusste Lucian, wie es Raphael ging, dies hatte er vor wenigen Wochen Lily gebeichtet. Er war der Einzige, der Raphaels Gedanken hören konnte. Auch wenn in den letzten Wochen seine Worte verstummten. Sie waren immer noch miteinander verbunden. Luc war froh, dass er Raphaels Schmerzen nicht spürte.
Es wurde Zeit etwas zu unternehmen. Ihn zu heilen und nicht nur seinen Schmerz zu unterdrücken, so wie Lily es tat. Doch keiner, auch nicht die großen Zaubermeister Rufus und Lia, hatten ein Heilmittel für Raphaels Krankheit.
»Darf ich?«, Luc zeigte auf den Platz, der neben Lily frei war.
Sie nickte und ließ ihren Blick wieder zum Meer schweifen. Lucian folgte ihm, als er sich zu ihr setzte.
»Ich habe dich schon öfter auf das Goldene Meer starren sehen? Was ist los?«
Lily zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Es ist so eine Unruhe in mir, aber wenn ich es mir anschaue, verschwindet sie. Keine Ahnung warum.« Die Lichtelfe versuchte sich zu erinnern, ob Raphael je etwas über das Goldene Meer erwähnt hatte. Ihr fiel aber nichts ein, außer das nur Reinblüter früher dort im Meer baden konnten. Doch wie es jetzt war, wusste sie nicht. Warum beschäftigt mich dieses Meer bloß so sehr?
»Lily?« Luc schaute sie fragend an.
»Entschuldige, was? Ich dachte nur über das Goldene Meer nach. Weißt du Genaueres darüber?«


Lucian lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und ließ seinen Blick erneut schweifen. »Nicht viel. Früher, als Calomel der neue König wurde und kurze Zeit später Rilaona ehelichte, da erschuf sie das Goldene Meer und das Regenbogen Meer. Obwohl das Regenbogen Meer mit ihrem Tod verschwand, blieb das Goldene bestehen. Natürlich dürfen immer noch nur Reinblüter in diesem Meer baden. Für uns Hybriden wäre es ...«, er hielt inne und runzelte seine Stirn.
»Ja?« Gespannt hatte Lily zugehört, was Luc ihr erzählte. Woher wusste er so viel darüber? Es war immerhin mehr, als sie selbst wusste und schließlich war sie die Königin von Watin. Klar, sie hatte sich schlicht und einfach nicht mit diesem Land, seinen Gesetzen und Bräuchen auseinandergesetzt. Nicht so wie Lucian. Sie seufzte.


»... für Hybriden ist es verboten dort zu schwimmen. Es war früher zumindest so, wird dich aber nicht mehr umbringen.«
»Aber Luc! Wir herrschen über dieses Land. Warum heben wir die alten und unsinnigen Gesetze nicht einfach auf? Dafür braucht man mindestens einen Zaubermeister.«
Luc grinste einseitig. »Ja, wir haben sogar zwei. Das wollte ich längst mit dir besprochen haben, aber du weißt ja, im Moment steht Raphaels Genesung im Vordergrund, da hatte ich mich nicht mit solchen Banalitäten wie Gesetzen auseinandersetzen wollen und können.«
»Du hörst seine Gedanken. Was sagt er?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte Lily ihn an. »Du hörst ihn doch noch, oder?«
Der Dunkelelf fuhr sich mit einer Hand durch sein pechschwarzes, gewelltes Haar. Es kringelte sich um seine Ohren. Sein Blick ging apathisch aus dem Fenster. Die Sonnenstrahlen ließen seine haselnussfarbenen Iriden schimmern, wie Honig in einem Glas. Kurz darauf schirmte er seine Augen mit einer Hand ab. Immerhin war er ein Dunkelelf und diese mochten kein direktes Sonnenlicht. Sie waren Kinder des Mondes, so wie die Wölfe.
»Luc!«, Lily hatte ihn unsanft an der Schulter angestupst.
Fest blickte er sie an und erhob sich. Er ließ seine Hände in die Hosentaschen gleiten. »Tut mir leid, seit Tagen ist da nur schweigen«, entgegnete er schulterzuckend und verließ die Räumlichkeit mit gesenktem Kopf.


Lily sah ihrem Bruder eine Weile nach, auch als er schon längst weg war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie war müde, obwohl sie erst vor zwei Stunden aufgewacht war.
Nach einem Frühstück war ihr heute nicht zumute gewesen und sie hatte keine Lust, nach unten zu den anderen zu gehen. Weder wollte sie mit jemanden reden noch etwas essen oder trinken.
Als Luna und George aus ihrem Hawaiiurlaub wieder gekommen waren, hatte sie sich sehr gefreut, ihre Eltern in die Arme schließen zu können. Stundenlang hatte sie sich bei ihnen ausgeweint und Lucian und Calomel mussten Luna und George alles Schritt für Schritt erzählen. Dass das Lichtschwert verschwunden war, die Hochzeit mit Raphael, der geheime und fatale Tauchgang in Bellissa. Und das Calomel wieder lebte. Darüber freuten sich ihre Eltern sehr.
Wie Raphael vom Shellycoat verletzt wurde, Lucians Verlobung mit Freya und der Kampf und Sieg um das Lichtschwert. Lily wollte nur schlafen. Sie fühlte sich leer. Energielos. Schwach und machtlos. So erhob sie sich und legte sich neben Raphael ins Bett. Irgendwann wurde sie vom Schlaf übermannt.

Was ist das für ein lieblicher Gesang? Sirenen? Oh, wie wunderschön es klingt. Und, was war denn das? Ist da soeben eine Sirene an mir vorbeigeschwommen? Sie ist so bezaubernd. Ihr Fischschwanz glitzert und was für eine Farbe ist das überhaupt? Wo bin ich? Und wieso kann ich unter Wasser atmen? Alles ist so paradiesisch. Das Wasser ist so kühl und erfrischend.
»Wird deine Welt auf den Kopf gestellt, tauche ein in das Licht, welches dir missfällt. Komm, komm! Das Feuerschwert es brennt und trennt das verfluchte Monument. Zeitlos wird das Leben sein, ramme nun das Schwert in das Herz hinein. Wahre Liebe hält alles aus, nach dem scheinbaren Hiebe, weicht das Böse für immer raus«, zischelt die Sirene und blickt mir tief in die Augen. Ich schaudere. Was will sie mir bloß damit sagen?

Lily wälzte sich von der einen Seite auf die andere. Irgendwann schlug sie die Augen auf und blickte sich um. Unter einer dicken Winterdecke lag sie neben Raphael. Sie stützte sich auf ihren Ellbogen und schaute ihn genauer an. Mit einer Hand wischte sie sich über ihre verschwitzte Stirn. Was für ein merkwürdiger Traum. Sie schüttelte sachte ihren Kopf.
Irgendetwas war jetzt anders als vorher. Aber was? Sie kam nicht drauf. Möglicherweise gab es einen Hoffnungsfunken? Kannten die Nixen ein Heilmittel? Zeitloses Leben? Hm, was mag das bedeuten? Waren Lichtelfen nicht unsterblich? Hinter dem Fenster lächelte ihr eine Mondsichel entgegen. Sterne funkelten am Firmament. Lily schauderte.


»Mein Engel!«, flüsterte sie in Raphaels Richtung. »Komm zu mir zurück!« Vorsichtig schmiegte sie sich an ihn. Er war nicht mehr warm, wie sonst. Sondern kalt. Und als sie sein Gesicht näher betrachtete, bemerkte sie feine Glitzerpartikel in einem blau auf seinen Lippen. Als hätte ihm jemand einen Glitzerlipgloss aufgetragen. 


Die Spitzen seiner Haare färbten sich dunkelblau. Wie von Zauberhand. Raphaels Wangen glänzten blass und funkelten gleichermaßen. Sie wich ein Stück von ihm zurück. Angst breitete sich in ihr aus, wie flüssiges Feuer. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Ein Zittern setzte ein. 


Hastig entstieg sie dem Bett und lief aus ihrem Zimmer. Sie rannte den Korridor entlang, spürte jeden einzelnen Stein unter ihren nackten Füßen. Ohne anzuklopfen, stürmte sie in Lucians Zimmer. Er lag in seinem Bett und war nicht alleine. Natürlich, Freya lag neben ihm. Beide fuhren hoch, als Lily ins Zimmer gestürzt kam. 


Atemlos blieb sie einige Meter vor dem Bett stehen. »Lucian! Etwas passiert mit Raphael. Ich habe Angst.«
Luc kam in die Höhe, er trug nur eine dunkle Pyjamahose. Zügig nahm er eine dünne Decke aus dem Schrank und legte sie um Lilys Schultern. Zärtlich umarmte er sie. »Schon gut, wir sind ja da.« Lucian zog sie sachte mit sich und beide nahmen auf der Chaiselounge neben dem brennenden Kamin Platz. Freya kam aus dem Bett und wickelte sich in einen hellen, bodenlangen Morgenmantel.


Während Luc und Lily am Kamin saßen, goss sie Blütennektar in drei Gläser, die neben dem Bett, auf dem Nachtisch standen, und reichte eins an Lily und eins an Luc. Die Fee setzte sich dann zu den Geschwistern und nippte am Nektar.
Lily stellte ihr Glas auf den runden Tisch vor sich und ergriff Lucians Hand.


»Er verändert sich. Ich habe solche Angst. Tu doch was, Luc. Bitte!«, flüsterte Lily. Etwas glitzerte auf ihren Wangen.
Sind das Tränen?, fragte sich Luc.
Luc stellte sein Glas ebenso ab und wischte Lilys Tränen mit seinen Händen fort. »Lily, beruhige dich ein wenig.« Als sie anfing zu schluchzen, zog ihr Bruder sie in eine warme Umarmung.
»Soll ich das Schlaflied singen?«, fragte Freya behutsam.
Lily schüttelte sachte den Kopf. Lucian blickte jedoch fest in die Augen seiner Liebsten. Mit seinem Blick gab er ihr zu verstehen, dass sie es doch tun sollte. Mit beiden Händen hielt Lucian sich die Ohren zu, damit er nicht mit Lily wegdämmerte. Er wusste, wie zart und betörend Freyas Stimme sein konnte und er liebte es, wenn sie sang. 


Aber jetzt musste er wach bleiben und mit den anderen besprechen, wie es weitergehen sollte. Denn so wie die momentane Lage war, konnten sie nicht weitermachen. Lily machte sich kaputt und Lucian würde es nicht weiterhin zulassen, dass es ihr jeden Tag schlechter ging, dass sie sich selbst zerstörte. Stück für Stück.
Kaum da Freya die letzten Zeilen gesungen hatte, löste Lucian seine Hände von den Ohren. Lily war in seinen Armen eingeschlafen. Vorsichtig erhob er sich mit ihr und legte sie langsam auf seinem Bett ab. Zusätzlich bedeckte er sie mit der dicken Winterdecke.


»Freya, lass uns die anderen wecken und besprechen, wie es weitergehen soll. Ich kann es nicht länger ertragen, dass sie so leidet. Es muss einen Weg geben Raphael zu heilen, ihn zu retten.«
Die Fee nickte. »Ich sage Mr. und Mrs. Bernard Bescheid, damit sie alle wecken und dann treffen wir uns im großen Saal.«
»Ich danke dir.«
Lucian kam näher an Freya, die immer noch auf der Chaiselounge saß, und ergriff ihre Hände. Zog sie langsam hoch und drückte sie fest an sich.
»Danke, dass du da bist.« Er hauchte ihr einen Kuss auf ihre Lippen. Als er sich von ihr gelöst hatte, entschwand Freya durch die Tür. Lucian seufzte, als sein Blick auf Lily hängen blieb.

Nach einer knappen Stunde hatten sich die Freunde, die mittlerweile eine bunte Familie war, sich im großen Saal eingefunden. Es war immer noch Nacht. Umso wärmer wirkte die Atmosphäre bei Kerzenschein. Luc hatte sich umgezogen.


Alle waren anwesend:
Calomel und Norma, Luna und George, Freya mit Luc, Rufus und Lia. Mr. Bernard hatte sogar Feysiriel, Mandavar und Arikarion geweckt. Die mittlerweile zu Lucians engsten Freunden zählten.
Luc hatte Fey und Ari vor Kurzem gefragt, ob sie es sich vorstellen könnten, ins Schloss zu ziehen. Die beiden hatten sich bisher nicht entschieden. Er hoffte inständig, dass sie sich dafür entscheiden würden. Mandavar würde in wenigen Tagen seine Wohnung aufgeben. Er pflegte einen guten Draht zu seiner Schwester und diesen wollte er nicht verlieren.
»Verzeiht die nächtliche Störung, aber wir müssen jetzt reagieren, sonst ist es zu spät!« Lucian holte tief Luft, als er fortfuhr: »Ich war soeben bei Raphael und denke, dass Rufus, Lia und ich seinen Zustand gemeinsam begutachten werden. Lily kam nämlich vorhin völlig aufgelöst in mein Gemach gestürzt.«


»Wie können wir helfen?«, wollte Norma wissen. Sie tauschte einen besorgten Blick mit Luna und ergriff Calomels Hand.
Der König musterte mit intensiver Miene den rothaarigen Zaubermeister. »Ich werde jedem von euch eine Aufgabe zuteilen und euch wegschicken, um nach alten Sagen und Legenden zu suchen. Es muss ein Heilmittel geben.«
»Wo sollen wir beginnen, mein Sohn?«, wollte George wissen.
»Mom und du könntet zu den Waldfeen gehen ...«
Mandavar fiel ihm ins Wort. »Aber ich könnte mit Freya selbst zu unseren ...«


Lucian unterbrach ihn. »Nein! Ich brauche sie hier, falls Lily wach wird. Sie soll sich ausruhen und nur Freya kann sie zum schlafen bringen.«
»Wir können sie doch nicht die ganze Zeit schlafen lassen«, protestierte Calomel.
Lucian erhob sich von seinem Stuhl und stützte sich mit beiden Händen, die er mittlerweile zu Fäusten geballt hatte, am Tisch ab. »Sie braucht jetzt Ruhe, mehr denn je. Selbstverständlich wird sie nicht immerzu schlafen.«
Stille.


»Da wir das geklärt haben würde ich gerne die anderen zuteilen.«
Einvernehmliches Nicken.
»Calomel und Norma, sucht in allen vier Himmelsrichtungen bei dem Volk nach Sagen und Legenden. Befragt auch die frisch angereisten Verbannten.«
Der alte König nickte.


»Mandavar, Fey und Ari reist unter einem Schutzzauber nach London und sucht dort in Raphaels ehemaliger Wohnung. Findet seine Zieheltern und befragt sie. Die Bloomfields besitzen eine große Bibliothek, möglicherweise findet ihr dort in den alten Büchern etwas Nützliches.«
»Es ist uns eine Ehre«, antwortete Mandavar für die drei.
»Auf Khiem passen wir natürlich auf und Mrs. Bernard. Sie kann ihn sogar weiterhin unterrichten«, führte Luc fort, als er Feys bedenklichen Gesichtsausdruck bemerkte.
Feysiriel nickte. »Vielen Dank, dass du dich um meinen kleinen Bruder kümmerst. Das weiß ich sehr zu schätzen.«
»Ihr habt zwei Wochen Zeit, eine weitere Woche bleibt als Puffer um zu beraten, zu besprechen und eventuell auszuführen. Gebt auf euch acht.« Lucian nickte in die Runde und die Freunde verschwanden, einer nach dem anderen aus dem großen Saal.
Ehe Rufus und Lia sich zurückziehen konnten, rief Lucian: »Rufus, Lia!«


Die beiden Zaubermeister blieben stehen und wandten sich dem König und Freya zu, die an seiner Seite stand.
»Lucian, wie können wir helfen?« Das Haar des Zaubermeisters funkelte rubinrot im Kerzenlicht.
»Rufus meinst du, dein Vater Haru könnte uns behilflich sein? Gibt es irgendwelche alten Legenden über den Shellycoat oder ähnliche Wesen?«
»Ich werde recherchieren. Die meisten Bücher habe ich schon durch, aber ein paar wenige habe ich noch nicht gelesen. Wir hatten sowieso vor nach Tokio zu reisen. Da gibt es etwas, was du wissen solltest.«
Die vier nahmen erneut an der Tafel Platz und Rufus erzählte von seinem seltsamen Traum, den er vor einer Nacht hatte. Er teilte Lucian auch seine Sorge mit, dass sie aus dem Aokigahara Wald etwas angeschleppt haben könnten.
»Das hätte uns noch gefehlt. Wir müssen auf jeden Fall wachsam sein und jede Veränderung sofort besprechen. Trotzdem müsst ihr erneut nach Japan, das hattet ihr sowieso vor. Passt auf euch auf und kommt zeitig zurück. Rufus, Lia.«


Die vier erhoben sich und die zwei Männer klopften sich freundschaftlich auf die Schultern. »Rufus schaust du dir vielleicht zusammen mit Calomel und mir, Raphael an.«
Der Zaubermeister nickte lächelnd.

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